31.08.2020 / SKM Diskursiv

Digitalität schlägt Kreativität

Über die Grenzen des Heimarbeitsplatzes als Geburtsort neuer Ideen.

Erinnern Sie sich an die Meetings vor Corona? Wenn endlich der eine Satz fiel, auf den alle gewartet hatten? Wie es plötzlich still wurde, ganz so, als ob einer den Stecker gezogen hatte? Erinnern Sie sich an die brüllende Stille nach der unglaublich dummen Bemerkung des Kollegen B.? An die betretenen Blicke nach dem missglückten Witz vom Chef? Heute geht das nicht mehr. Sitzungen gibt es zwar auch in Zeiten des Home Office, mehr sogar als zuvor, die non-verbale Kommunikation aber, die gibt es nicht mehr. Wenn im Videokonferenz-Meeting alle schweigen, dann entsteht keine Stimmung im virtuellen Raum. Dann sitzen wir halt maulfaul vor unseren Bildschirmen. Und in unseren Kopfhörern ist Stille nur das eben – Stille.

Das Home Office als Dauerzustand

Wenn es nach den Auguren der Arbeitswelt geht, wird uns das Home Office – Impfstoff hin oder her – wohl noch eine Weile erhalten bleiben. Egal wen man fragt, vom Vorstandsvorsitzenden bis zum Sachbearbeiter ist die Antwort eindeutig: Nein, die tägliche Fahrt zum Büro, mit vertraglich zugesichertem Tiefgaragenplatz und dem immer gleichen Kantinenbesuch um 12.15 Uhr ist passé. Auch wenn die Pandemie einmal enden sollte, ist das Einzelbüro oder die begrünte Etagen-Landschaft mit Konferenztisch, Telefonierecke und Tischkicker nach Meinung vieler Experten Schnee von gestern, uncool, nicht mehr zeitgemäß.

Mehr als die Hälfte der Unternehmen will nach Corona verstärkt von zu Hause aus arbeiten lassen, so die Daten verschiedener Ifo-Unternehmensbefragungen. „Die Corona-Krise könnte einen dauerhaften Schub fürs Homeoffice bedeuten“, zitiert die FAZ Oliver Falck, Leiter des Ifo-Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien.

Die „gute Idee“ als Verlierer

Mal abgesehen davon, dass es sich mit dem Home Office wie mit der Inflation verhält; gefühlt sind die Zahlen höher als es der Faktencheck hergibt – der Trend zum Heimarbeitsplatz scheint unaufhaltsam. Doch wird diese Entwicklung nicht nur Gewinner hervorbringen. Auf die Liste der Verlierer gehören nicht nur der gewerbliche Immobilienmarkt und die Betreiber von Food Trucks in Gewerbegebieten, sondern auch Büroaffären, Teamgeist und die gemeinsam entwickelte gute Idee. Man könnte auch sagen: Die Arbeitswelt hat sich mit ihrer Entscheidung für die physische Distanz auch gegen die Kreativität entschieden.

Der Grund sind die Grenzen, die aus den Limitierungen der digitalen Videokonferenz-Systeme erwachsen. Leider kommen Skype, Zoom und Teams immer genau dann an ihre Grenzen, wenn der Büroalltag wirklich Spaß macht. Wenn man am Kopierer über die neue Haarfarbe des Abteilungsleiters tuschelt, im Meeting einem kollektiven Lachanfall erliegt oder kindische Handy-Videos für die Geburtstagsfeier einer Kollegin aufnimmt.

In diesen Tagen ist Vergleichbares nicht mehr möglich; weil die Zeit dafür im täglichen Rattenrennen eng getakteter Video-Konferenzen fehlt und – das ist wichtiger – die Technik diese Form der Gemeinschaft wenn nicht ver-, so doch zumindest erheblich behindert.  

Kreativität braucht „vibes“ im Raum

Wenn wir in Zeiten von Corona über Digitalisierung sprechen, dann sollten wir uns erinnern, was ihre wichtigste gesellschaftliche Wirkung ist: Sie macht den Menschen häufig überflüssig. Was in der Vergangenheit von Menschen gelesen, geschrieben, berechnet oder produziert wurde, können heutzutage weitgehend Maschinen. Und falls nicht, wird es nicht mehr allzu lang dauern, bis sie es können. Wenn der arbeitende Mensch auch künftig eine wertschöpfende Funktion für seinen Arbeitgeber haben wird, so als kreative Einheit, als Ideenerfinder, als Neu- und Anders-Macher.

Welches Arbeitsumfeld aber fördert diesen Typus von Mitarbeiterin und Mitarbeiter? Die Frage ist alt, die möglichen Antworten sind mannigfaltig. In jedem Falle förderlich für kreative Ideen, das haben wir im Home Office schmerzhaft gelernt, ist die Nähe zu Kolleginnen und Kollegen, zu Kunden und Partnern. Um es klarer zu formulieren: Menschen brauchen für kreative Ideen häufig die räumliche Nähe zu anderen. Sie brauchen die non-verbale Kommunikation, den Blick und das Wegschauen, die „vibes“ im Raum. Genau die aber fehlen derzeit. Skype behindert das Tuscheln. Teams erschwert das Unterbrechen und Durcheinanderreden. Zoom machte die sublime Botschaft per Köpersprache weitgehend unmöglich.

Natürlich haben das auch die Anbieter von Videokonferenz-Systemen erkannt. Im Vergleich zum Status vor zwei Jahren wurden die Angebote deutlich weiterentwickelt. Teilnehmer können sich zu Wort melden oder in kleineren Gruppen zu Sessions „zurückziehen“. Auch die Aufnahme von Meetings oder das Teilen von Dokumenten und Videos ist mittlerweile gang und gäbe. Viele weitere Features könnten hier genannt werden.

Auch künftig analoge Meetings

Zudem ist der Mensch anpassungsfähig. Wir werden lernen, auch im Online-Meeting non-verbal zu kommunizieren, Gefühle zu vermitteln und Stimmung zu erzeugen. Doch wird es die Spannung im Raum ersetzen können? Zweifel sind angebracht. Zumindest bisher gilt für das Online-Video-Meeting, was sich die Menschen in der S-Bahn auch über virtuelle Club-Besuche, Konzertübertragungen aus Wohnzimmern oder Bundeligaspiele vor leeren Rängen erzählen: Früher war irgendwie geiler.

Natürlich lässt sich viel von zu Hause aus regeln, häufig auch effizienter, in jedem Falle sicherer. Die Vorgaben zur Bekämpfung der Pandemie gelten. Niemand möchte, dass der Kreativ-Workshop zum Superspreader-Event wird. Doch bei Anlegen von Mund-Nase-Masken, bei Einhaltung der Abstandsregeln und Treffen in ausreichend großen und belüfteten Räumen wird es auch in diesen Zeiten ganz ohne analoge Meetings nicht gehen. Sonst schlägt die Digitalität die Kreativität. Diesen Sieg sollte Corona nicht davontragen.

 

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