21.06.2022 / SKM diskursiv

Klartext statt scholzen

Krisenzeiten erfordern eine klare Kommunikation. Bundeskanzler Olaf Scholz tut sich schwer damit. Statt Zeitenwenden gibt es bei ihm Kehrtwenden – die er selbst aber nicht erkennen will. Eine Analyse von Gregor Schreiber.

Die „Zeitenwende“-Rede, die Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag gehalten hat, wurde als historisch eingeordnet. Seitdem ist der SPD-Politiker allerdings kommunikativ immer stärker in die Defensive geraten. Statt der von ihm selbst angekündigten „bestellten Führung“ folgte eine Kommunikation des Zauderns. Bei ihm hat das allerdings Tradition. Schon im Bundestagswahlkampf 2021 schaffte es das Verb „scholzen“ – also ausweichen statt antworten – in den deutschen Sprachgebrauch. Dabei fallen die folgenden Schwächen in der Kanzler-Kommunikation besonders auf: Ankündigungen, auf die ein Zickzackkurs folgt: Erst die angekündigte Impfpflicht, die im Bundestag krachend gescheitert ist, dann die Bundestagsrede zur „Zeitenwende“, auf die wochenlange verschiedene Argumentationen folgten, warum Deutschland keine schweren Waffen liefern könne – um am Ende dann doch die Kehrtwende zu verkünden. Es bleibt der Eindruck, dass man sich bei Scholz nicht auf das verlassen kann, was er sagt.

Aussitzen: Man kann nicht nicht kommunizieren: Geführt wird von vorne, gerade in Krisenzeiten. Sich als Kanzler zu den drängenden Fragen von Waffenlieferungen oftmals gefühlt als Letzter zu melden, lässt den anderen politischen Akteuren Raum, ihre Botschaften zu setzen und die Diskussion in eine Richtung zu lenken, auf die Scholz dann nur noch reagieren kann. Der Kanzler muss mehr erklären und vor allem überzeugen. Denn auch wenn politische Positionen wechseln: Wenn etwas nachvollziehbar erklärt wird, gibt es dafür auch Verständnis. Das zeigt die Kommunikation von Habeck deutlich.

Ausweichen („scholzen“): Lange Schachtelsätze, die Positionen möglichst offenhalten – auch wenn dieser Ansatz in der Politik nicht ungewöhnlich ist: Von einem Kanzler in Krisenzeiten erwarten die Menschen klare Ansagen. Scholz selbst hat den Satz geprägt: „Wer Führung bestellt, bekommt sie“. Wir alle wissen: Wenn wir zu lange auf eine Bestellung warten müssen, setzt der Frust ein.

Warum funktioniert Scholz’ Politiksprech nicht mehr?

Es drängt sich die Frage auf: Wie konnte Scholz mit seinem aktuell so umstrittenen Stil eigentlich Kanzler werden? Auch wenn Politikersprech von der Wählerschaft nicht besonders goutiert wird, hat er in normalen Zeiten klare Vorteile: er zieht kaum öffentliche Kritik auf sich und bleibt skandalfrei. In Krisenzeiten ist das anders: Scholz’ Strategie stößt hier zunehmend an ihre Grenzen. Erst die Coronakrise und dann der Ukraine-Krieg haben in der Bevölkerung das Bedürfnis nach Klarheit geweckt. In der Krise wünschen sich die Menschen klare und verlässliche Botschaften.

Andere Spitzenpolitiker haben hierfür ein Näschen gezeigt: Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2009 stellten sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) vor Kameras und versicherten, dass die Spareinlagen sicher seien. Auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erkannte zu Beginn der Coronapandemie die Zeichen der Zeit und erfüllte das Sicherheitsbedürfnis der Menschen, indem er sich zum „Team Vorsicht“ rechnete – gerade auch im Gegensatz zur schwankenden Haltung seines damaligen Kontrahenten um die Kanzlerkandidatur, Armin Laschet. Aktuell zeigen Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) ihr Gespür für die Zeichen der Zeit: Sie treffen den richtigen Ton und setzen klare Botschaften, wie beim Besuch der Außenministerin in Butscha. Ergo: Scholz’ ausweichender Kommunikationsstil funktioniert in Krisenzeiten nicht mehr – er muss ihn anpassen.

Wähler, hört die Signale

Scholz’ feurige Rede am 1.Mai sollte den Knoten zerschlagen. Laut und emotional ruft er der Ukraine die volle Solidarität zu und verteidigt die Waffenlieferungen gegen ein paar pfeifende Querdenker im Düsseldorfer Publikum. Dabei wird Scholz auch laut und nachdrücklich – von wegen Scholzomat!
Die kommunikative Offensive ging Anfang Mai weiter, sei es beim Einzelgespräch bei „Anne Will“, im „Spiegel“-Interview oder beim „ZDF“-Format „Was nun, Herr Scholz“. Doch was bleibt zunächst hängen? Die Weigerung des Kanzlers, in die Ukraine zu reisen. Die Ausladung des Bundespräsidenten Steinmeier durch Präsident Selenskyj findet er „bemerkenswert“ – und will damit sagen: inakzeptabel. Die Reaktion des ukrainischen Botschafters Andrji Melnyk folgt prompt: Auch, wenn die „beleidigte Leberwurst“, mit der er den deutschen Kanzler etikettiert, sicher nicht den diplomatischen Gepflogenheiten entspricht: Das Bild schlägt voll ein und lässt Scholz in Kriegszeiten kleinkariert aussehen. Hinzu kommt, dass der Kanzler bei kritischen Nachfragen in Interviews zur Basta-Mentalität neigt. Der Umgang mit Journalistinnen und Journalisten wirkt teils wenig souverän und seine Antworten klingen besserwisserisch.

Ein Narrativ für Glaubwürdigkeit und Führungsstärke

Scholz und sein Team haben Schwachpunkte der Kommunikation erkannt und ihre Strategie geändert. So kann man dem Kanzler nicht mehr vorwerfen, er kommuniziere zu wenig. Die Zahl seiner öffentlichen Auftritte nimmt weiter zu. Jüngst diskutierte er mit Bürgerinnen und Bürgern bei „RTL direkt“ oder hielt eine Rede auf dem Davos Wirtschaftsforum – insofern ist seine Sichtbarkeit ­gestiegen.

Entscheidend für seine kommunikative Zeitenwende sind aber die Kompetenzwerte in puncto Glaubwürdigkeit und Führungsstärke. Dazu braucht es mehr als Auftritte: Klarheit in der Sprache. So lässt die Formulierung aus seiner Regierungserklärung „Russland darf nicht gewinnen, die Ukraine muss bestehen“ Raum für Spekulationen und Angriffsfläche für seine Gegner. Andere NATO-Regierungschefs sind in diesen Punkt glasklar. Wenn diese Sprachregelung Teil der engen Abstimmung mit Partnerländern sein soll, würde es doch sehr interessieren, wie diese Sprachregelung genau aussieht: Deutschland schwurbelt, die anderen reden Tacheles?
Kommunikation lebt auch von Kontrasten. Umso unbefriedigender ist dann natürlich, immer vage zu bleiben. Und riskant: Wenn doch etwas durchrutscht, ist das wie ein roter Weinfleck auf einer weißen Tischdecke. Die „Jungs und Mädels“ wissen Bescheid und werden dem Kanzler noch lange nachhängen. Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) hat das Zitat nicht umsonst in seine Bundestagsrede integriert. Zudem erfordert ein solcher Stil viel Disziplin, die Scholz gerade in Interviews zunehmend vermissen lässt.

Notwendig für eine langfristig glaubhafte Kommunikation ist ein solides Fundament mit einer überzeugenden Erzählung, die sich nicht an beweglichen Positionen orientiert. Vielmehr muss sie auf einer Grundhaltung beruhen, die eindeutig und für das Publikum leicht verständlich ist – und überprüfbar: Umdeuten gilt nicht. „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern“ richtet weniger Schaden an als „Das habe ich immer gesagt“, wenn das überhaupt nicht überzeugt! Noch stärker ist sogar das Originalzitat von Konrad Adenauer: „Es kann mich doch niemand daran hindern, jeden Tag klüger zu werden.“

Neben diesem individuellen Defizit gilt es, eine offene Flanke innerhalb der Koalition zu schließen: Die Ampelparteien müssen einheitlicher kommunizieren. FDP und Grüne haben die SPD mit ihren Forderungen nach schweren Waffenlieferungen in die Defensive gedrängt. Im Falle der FDP gilt das auch für das Vorpreschen in der Corona-Politik. Solche unabgestimmten Vorstöße untergraben nicht nur die Autorität des Kanzlers, sondern lassen die gesamte Regierung schwach aussehen.

 

Der Beitrag wurde am 21.06.2022 in der Fachzeitschrift politik&kommunikation veröffentlicht.

 

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