08.03.2022 / SKM diskursiv

Nord Stream 2: Schwerin zwischen Solidarität und Heuchelei

Die Pipeline Nord Stream 2 liegt auf Eis, Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig zieht sich aus dem Projekt zurück und lässt den Schweriner Landtag in den Farben der Ukraine erstrahlen. Eine umsichtige und von Humanismus motivierte Reaktion? Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk bezeichnet den erleuchteten Landtag als „Heuchelei“. Was bislang geschah und wo kommunikative Versäumnisse lagen – eine Analyse.

Seit man sich 2005 für den Bau von Nord Stream 2 zwischen Oblast Leningrad und Mecklenburg-Vorpommern entschied, hatte das umstrittene Projekt auch in Deutschland viele Unterstützer.

Neben Altkanzler Gerhard Schröder befürwortete u.a. auch Mecklenburg-Vorpommerns Landesregierung, zuletzt Ministerpräsidentin Manuela Schwesig das Bauvorhaben vehement. Doch das Kriegsgeschehen der vergangenen Tage veranlasste die Ministerpräsidentin dazu, ihre Position zu überdenken und die zum Bauprojekt gehörende „Klima-Stiftung“ einzufrieren.

Sie traf damit eine Entscheidung, die angesichts des öffentlichen Diskurses, nicht nur über Nord Stream 2, sondern ganz allgemein über den Umgang mit Russland, schon viel früher fällig gewesen wäre.

Schon im Sommer 2020 war die Reputation des Kremls in Deutschland an vielen Stellen zerstört. Doch trotz Vergiftung und anschließender Verhaftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny hielt Schwesig am Pipelinebau fest. Ihr langes Beharren auf die Umsetzung von Nord Stream 2 verargumentierte die Ministerpräsidentin mit der gültigen Rechtsgrundlage des Bauprojekts und mit der Sorge, man mache sich ohne Pipeline zu sehr abhängig von amerikanischem Fracking-Gas und damit verbundenen Wirtschaftsinteressen. Als die Bundesregierung das Aussetzen des Pipelinebaus als Sanktion nicht mehr ausschloss, wurde Schwesigs Position zu dieser roten Linie schwammig.

So waren im öffentlichen Diskurs des vorletzten Sommers zwei politische Narrative erkennbar, die unterschiedlicher nicht hätten sein können: einerseits die Orientierung an Idealen des demokratischen Gemeinwesens (vertreten durch die Bundesregierung), andererseits das wirtschaftliche Partikularinteresse eines Bundeslandes, kaschiert mit dem Argument einer vermeintlich drohenden Abhängigkeit Deutschlands von amerikanischem Öl und Gas. Mit der neuen Bundesregierung änderte sich der Kurs von Wirtschaftsdiplomatie hin zu Wirtschaftsboykott, wobei Schwesig offenbar nicht wahrnahm, wie sich Scholz und Habeck langsam von ihr absetzten.

Man kann ihr vorwerfen, dass sie die Zeichen der Zeit nach der Bundestagswahl nicht erkannte und es versäumte, noch vor dem Ausstieg Berlins selbst auszusteigen – ein Timing- oder Instinkt-Problem. In einem solchen Moment ist es ratsam, kommunikativ kleine Brötchen zu backen und sich bedeckt zu halten. Die Beleuchtung des Landesparlaments in den ukrainischen Farben entsprach jedoch einer lauten Solidaritätsbekundung zum falschen Zeitpunkt, was Botschafter Melnyk zu Recht als „Heuchelei“ auffasste.

Fazit: Manuela Schwesig handelte zu spät und war zu ungeschickt, um anschließend angemessen leise zu sein. Das Pipelineprojekt liegt heute auf Eis und Robert Habeck nennt die Abhängigkeit und die fehlende Diversifizierung der Energieversorgung ein „Klumpenrisiko“. Schwesig justiert ihre Strategie weiter und fordert Gerhard Schröder inzwischen öffentlich auf, seine Ämter im Zusammenhang mit Nord Stream 2 aufzugeben.

 

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