15.11.2016 / Artikel

Über die Teilhabe von Unternehmen am gesellschaftlichen Diskurs

Von Christian Koof

 

Während sich amerikanische Unternehmen verstärkt in die heimische Politik einmischen und meinungsfreudig ihre Haltung für oder gegen Exekutive und Legislative, Hauptstadt und Bundesstaaten, Republikaner und Demokraten publik machen, scheuen deutsche Spitzenmanager weiterhin die öffentliche Auseinandersetzung. Das schadet nicht nur dem gesellschaftlichen Diskurs, sondern auch den Unternehmen selbst.

Als Harry Kane, der Stürmer der englischen Nationalmannschaft einen Tag nach der Brexit-Entscheidung seines Landes (und drei Tage vor der blamablen EM-Niederlage gegen Island) nach seiner Reaktion auf das Anti-EU-Votum der Briten gefragt wurde, blieb der Fußballer wortkarg. „Ich weiß darüber zu wenig“, antwortete er ausweichend und musste dafür viel Häme einstecken.

Die freundliche, teilweise auch geschliffen formulierte Verweigerung einer inhaltlichen Festlegung mag auf dem diplomatischen Parkett zum guten Ton gehören, im öffentlichen Diskurs kommt sie schlecht an. Es geht eben nicht nur um die Narrative, das bei Kommunikatoren aller Branchen so gern verwendete Buzzword der Saison. Natürlich ist es schön, wenn die Haltung, die öffentlich transportiert werden soll, in eine gute Geschichte verpackt wird – strukturiert erzählt, emotional vorgetragen, witzig formuliert. Wichtiger aber als die Darstellung der Haltung ist – Harry Kane musste es leidvoll erfahren – die Haltung selbst.

Die aber wird immer häufiger verweigert. Nicht nur von englischen Fußballprofis, sondern auch von deutschen Unternehmen. Wer drei Tag nach den Kane-Äußerungen die BILD-Zeitung aufschlug, las dort im Interview mit dem CEO eines großen Versorgungsunternehmens Aussagen zum Brexit, die in ihrer Tiefe kaum über die Aussagen Harry Kanes hinausgingen. Durchdacht inszeniert – das Foto zeigt den Manager in Jeans neben einem E-Bike stehend – lässt er jegliche inhaltliche Festlegung vermissen. Zwischen den Zeilen lassen sich die Bedenken und Korrekturen einer Vielzahl von internen und externen Beratern leicht erahnen, die den Text einem versierten Hilfskoch ähnlich vollkommen „entbeint“ hatten.

Diese Kommunikationsstrategie ist typisch. Das gilt insbesondere bei Themen abseits des Kerngeschäfts, für den Bereich der „Corporate Communications“. Dabei brauchen Unternehmen gerade dann eine nachvollziehbare Geschichte, wenn es nicht so sehr darum geht,

  • die neueste Turbine dazustellen, sondern die Expertise des Versorgers beim Thema "Zertifikatehandel“
  • die nächste Winterkollektion zu präsentieren, sondern das Engagement des Modehauses für Bio-Baumwolle
  • eine Phase III-Studie zu erläutern, sondern die Kritik des Arzneimittelherstellers an einer europäischen Pharma-Verordnung zu begründen.

Bei Themen von gesellschaftlicher Relevanz aber zeigt sich gerade in Deutschland, dass viele Unternehmen vom Wert des Inhalts für die Narrative entweder wenig verstehen oder aber – was zu vermuten ist – wenig verstehen wollen. Betrachtet man die Teilhabe von Unternehmen am öffentlichen Diskurs in den USA und in Deutschland, erinnert das ein wenig an den Vergleich von „Breaking Bad“ mit einem Tatort aus Münster.

In den USA sind ganz offensichtlich nicht nur die TV-Produzenten, sondern auch die Strategen in der Unternehmenskommunikation weitaus mutiger als ihre Kollegen in Europa. Dabei folgen sie einer einfachen, aber unumkehrbaren Regel: Eine überzeugende Narrative benötigt mehr als alles andere den Konflikt.

Unternehmen, die ihre Marke stärken und das Interesse unterschiedlichster Stakeholder – egal ob Hochschulabgänger, Politik oder Kunden – wecken möchten, brauchen die Auseinandersetzung mit einem Gegner. Sich diesem mit einer eindeutigen (d.h. konträren) Haltung zu stellen, ist Voraussetzung für eine gute Narrative und damit auch für die erfolgreiche öffentliche Positionierung des Unternehmens.

Es seien nur zwei Beispiele genannt, wie eine solche Auseinandersetzung von statten gehen kann:

  • Fall 1: Apple verweigerte sich im Februar 2016 der Forderung des FBI, den Zugang zu verschlüsselten iPhone-Daten islamistischer Terroristen zu ermöglichen. Die – von handfesten unternehmerischen Eigeninteressen motivierte – Auseinandersetzung wurde bewusst öffentlich geführt. Im Kampf gegen den wohl mächtigsten aller Gegner, die US-Regierung, setzte Apple nicht allein auf hoch bezahlte Lobbyisten, auf ein gut funktionierendes Polit-Netzwerk oder finanzielle Zuwendungen für den einen oder anderen Wahlkampf. Genauso wichtig war eine professionell aufgesetzte Kampagne, die sich beispielsweise öffentlicher Briefe, Zeitungsinterviews und Tweets bediente. Die Botschaft war eindeutig und vermied bewusst jegliche diplomatische Weichheit: Liebe Kunden, liebe Amerikaner, die Forderung des FBI gefährdet Eure Bürgerrechte!

  • Fall 2: PayPal mischte sich im April 2016 massiv in die Debatte über die „Anti-Gay-Gesetzgebung“ mehrerer Südstaaten ein. In der Folge hat das Unternehmen geplante Investitionen in North-Carolina annulliert. Die Begründung des Unternehmens: Sich als Arbeitgeber an einem Standort zu engagieren, wo homosexuelle Mitarbeiter weniger Rechte genießen als heterosexuelle, sei für das Unternehmen „unerträglich.“

Was an diesen Beispielen auffällt: Die jeweiligen Unternehmen zeigen das, was Franz Müntefering einst „klare Kante“ nannte. Ganz bewusst wird die Ablehnung durch große Teile der Bevölkerung (die evangelikal-konservative Mittelschicht) oder mächtige Stakeholder (die Regierung in Washington) in Kauf genommen. In Amerika wird damit eine alte Regel beherzigt, die eigentlich auch in Deutschland gelten sollte: Man kann es eh nicht allen recht machen. Etwas deutlicher formuliert: Wer in den Boxring steigt, kann nicht nur austeilen.

Nun ist es nicht so, dass die Regeln der Narrative (und ihrer Anwendung im öffentlichen Diskurs) in München, Hamburg oder Berlin unbekannt wären. Allein, es fehlt wohl der Mut, sie auch zu beherzigen. Stattdessen wird lieber zu Podiumsdiskussionen eingeladen, um einer Gruppe honoriger Experten dabei zuzuhören, wie sie aus unterschiedlichen Perspektiven zu einer identischen – zumeist vollkommen unangreifbaren – Schlussfolgerung kommen. Ähnlich verfährt auch der CEO im Interview mit der WELT oder im Gastkommentar des Handelsblattes: alles Mögliche wird gelobt, angestoßen oder auch kritisiert. Über das Werfen der sprichwörtlichen Wattebällchen geht der Diskurs zumeist nicht hinaus.

Diejenigen, die sich dort so lavierend zu Wort melden, beklagen jedoch gleichzeitig einen Mangel an Alleinstellungsmerkmalen ihrer Unternehmen, einen ungenauen Markenkern oder auch unattraktiven „Employer Brand“. Dabei wäre es doch so einfach: Legt Euch an! Sagt Eure Meinung, nicht nur in der Vorstandssitzung, sondern auch bei der Panel Discussion; nicht nur im vertraulichen Telefonat mit dem Staatssekretär, sondern auch per Twitter.

Die meinungsfreudige Teilhabe von Unternehmen am öffentlichen Diskurs verstärkt die Strahlkraft des Corporate Brand weit mehr als die mühselige Pflege der (dann doch eher beliebigen) Internetseite. Und sie schafft Transparenz. Und die wiederum ist dringend geboten, weil nur so den um sich greifenden Verschwörungstheorien über den politisch-industriellen Komplex und die Allmacht des Lobbyings in Berliner (und Brüsseler) Hinterzimmern Einhalt geboten werden kann. Ein bisschen mehr Walter White, etwas weniger Professor Börne täte allen gut – nicht nur dem politischen Diskurs in Deutschland, sondern auch den daran beteiligten Unternehmen.

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