14.09.2023 / SKM diskursiv

Das Kommunikationsproblem der Ampel: Der Streit um die Kindergrundsicherung ist nur ein weiterer Eintrag im Klassenbuch

Aktuell steht die Bundesregierung in der Dauerkritik. Würde es sich dabei nicht um Politik, sondern den Schulalltag handeln, könnte man sagen: Die Versetzung ins nächste Schuljahr ist stark gefährdet. Dabei spielt die Kommunikation von SPD, Grüne und FDP eine entscheidende Rolle. Unser Kollege Nils Intraschak stellt der Ampelregierung ein Halbjahreszeugnis aus – und fordert für das restliche Schuljahr mehr Fortschritt und Geschlossenheit in der Kommunikation nach außen.

Als SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP nach der Bundestagswahl 2021 ihre Sondierungsgespräche starteten und folgend zueinander fanden, war die Begeisterung aller Beteiligten sowie bei einem Großteil der Wählerinnen und Wähler groß. Kurze Zeit später stand die selbsternannte „Fortschrittskoalition“ mitsamt Koalitionsvertrag. Die neue Bundesregierung, erstmals bestehend aus drei Parteien und nach 16 Jahren CDU- und Merkel-Regierung, startete voller Elan in ihre Legislaturperiode. Den Eindruck des Fortschritts, des Aufbruchs, eines Neuanfangs, vermittelten alle Beteiligten auch in ihrer Kommunikation nach außen. Zum Meme wurde das Selfie von Annalena Baerbock, Robert Habeck, Christian Lindner und Volker Wissing. Von einer neuen Art der Kommunikation und des Regierens war die Rede. Beeindruckend war dabei auch, dass während den gesamten Sondierungsgesprächen dichtgehalten wurde – kein Detail drang nach außen. Knapp zwei Jahre sind seitdem vergangen, Zeit für ein Zwischenzeugnis.

Trübe Stimmung statt guter Laune

Aktuell ist die Aufbruchstimmung verflogen. Tristesse scheint eingekehrt, alle drei Parteien spielen sich eher gegeneinander aus, als zusammen zu regieren. Am deutlichsten wurde dies im jüngsten Streit um die Kindergrundsicherung zwischen Grünen-Familienministerin Lisa Paus und FDP-Finanzminister Christian Lindner. Das Vorhaben ist im Koalitionsvertrag festgeschrieben, gezankt wird um die Summe – und das seit Anfang des Jahres. Zuletzt gipfelte der Disput im Veto von Ministerin Paus zu Lindners geplantem Wachstumschancengesetz. Von manchen als „Trotzreaktion“ bezeichnet, zeigt sich hier deutlich das Problem der Ampelregierung: Differenzen werden öffentlich ausgetragen anstatt im Dialog untereinander geklärt. Blickt man auf die letzten Wochen, könnte der Eindruck entstehen, eine der beiden Parteien sitzt in der Opposition. Und das wirkt sich auch auf die Zufriedenheit der Bevölkerung auf die Bundesregierung aus: Neuesten Umfragen zufolge ist eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger unzufrieden mit der Arbeit der Ampel[1]. Die Konsequenz der anhaltenden Streitigkeiten (Heizungsgesetz, Schuldenbremse, Verbrenner-Aus) ist ein großer Vertrauensverlust in die regierenden Politikerinnen und Politiker. Kann eine Regierung so vernünftig weiterregieren?

Realität vs. Wahrnehmung

Die Antwort: Jein. Wie so oft, gibt es auch hier zwei Seiten der Medaille. Ja, die Ampelregierung scheint zerstritten, im Grunde könnte man sagen: Der Unterricht wird dauerhaft gestört, der Streit um die Kindergrundsicherung ist hier nur ein weiterer Eintrag ins Klassenbuch. Und die Wählerinnen und Wähler in ihrer Rolle als Lehrkraft vergessen das nicht so schnell. Die Liste der Einträge wird immer länger. Hier wird schon eines der kommunikativen Versäumnisse der Ampelregierung sichtbar: Allen Parteien gelingt es nicht, ihre gemeinsamen Erfolge erfolgreich und nachhaltig zu kommunizieren: Mindestlohn-Erhöhung, Wahlrechtsreform, Hartz-IV-Reform bzw. die Umwandlung zum Bürgergeld, 9-Euro-Ticket sowie das nachfolgende Deutschlandticket, gefüllte Gasspeicher im Winter - die Liste könnte noch weitergeführt werden[2]. Und dennoch, Fleißsternchen werden kaum vergeben. Dabei ist die Bilanz besser als der aktuelle Ruf der Regierung.

Zudem ist es wichtig, den zeitlichen Kontext zu berücksichtigen. Vergessen werden darf nicht, zu welcher Zeit die aktuelle Bundesregierung ihre Arbeit aufgenommen hat. Dezember 2021, Corona war noch präsent. Die Wirtschaft sowie die Bevölkerung hatten fast zwei Jahre Einschränkungen hinter sich. Februar 2022, der Einmarsch Russlands in die Ukraine. Plötzlich war Krieg in Europa ganz nahe, zudem wurden die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland eingefroren. Die Folge, besonders im Winter 2022: Eine Energiekrise. Auch wenn der Umbau auf erneuerbare Energien beschleunigt wurde, erinnert man sich nur zu gut an die mahnenden Worte von Wirtschaftsminister Robert Habeck. Zudem die Inflation, dazu eine jahrelang verschleppte Digitalisierung, lähmende Bürokratie – es ist mit Sicherheit kein leichtes Schuljahr.  

Bundesregierung oder Theater-AG?

Grundsätzlich sind Differenzen innerhalb einer Koalition kein Drama, dass diese auftreten, ist legitim. Denken wir nur an die letzten Jahre der GroKo. Größter Knackpunkt ist aktuell jedoch die zu differente und festgefahrene Prioritätensetzung der Regierungsparteien. Alle drei haben hier ihre Lieblingsfächer (was für eine gute Regierungsarbeit keine schlechte Voraussetzung ist): Die FDP, mit dem Selbstverständnis der liberalen Mitte, setzt klar auf ihren Wirtschafts- und Finanzschwerpunkt, die Grünen sehen dagegen klar gesellschaftliche und Umwelt-Themen im Vordergrund und die SPD versucht sich im Gesundheits- und Sozialbereich abzusetzen. Dass es in der Folge bei der Aufteilung finanzieller Mittel zu Diskussionen kommen würde, war abzusehen. Dennoch scheint es verwunderlich, dass die Debatten in dieser Härte in der Öffentlichkeit geführt werden.

Ein Grund hierfür dürfte die Befriedung des eigenen Wähler-Klientel sein. Zum anderen will niemand über seinen Schatten springen – ein Teil hat angefangen, der andere zieht nach. Und zu alledem fragt man sich auch: Was macht eigentlich Bundeskanzler Olaf Scholz? Beim jüngsten Streit um die Kindergrundsicherung hat er ein Machtwort gesprochen, kurze Zeit später war eine Einigung erzielt. Anschließend mahnte er alle Beteiligten zu mehr Zusammenarbeit an – ganz im Sinne eines gewählten Klassensprechers. Es bleibt zu hoffen, dass alle Mitglieder der Regierung sich diese Mahnung zu Herzen nehmen.

Die entscheidende Frage ist allerdings: Wie kommuniziert die Ampel in Zukunft nach außen? Der politische Betrieb ist getrieben von Legislaturperioden, Wahlterminen auf Bundes- und Landtagsebenen und einem immer wiederkehrenden Regierungszyklus. Wahlergebnisse sichern das politische Überleben, das wird aktuell erneut deutlich. Und die Bundesebene stellt die größtmögliche Bühne des politischen Schauspiels dar. Dass sowohl SPD, Grüne als auch FDP hier innerhalb des begrenzten Spielraums ihre präferierten Vorhaben durchbringen wollen, ist nachvollziehbar. Doch das Problem der Ampel sind nicht zwangsläufig die thematischen Gegensätze, sondern die Art und Weise der Kritik und der Kommunikation unter- und miteinander. Die rein-öffentlichen ausgetragenen Streitigkeiten gleichen einem Schauspiel auf offener Bühne und sorgen nicht nur für einen Vertrauensverlust der Bevölkerung – auch innerhalb der Regierung wird so Vertrauen verspielt.

Versetzung gefährdet

Nach knapp zwei Jahren kann bilanziert werden: Die Versetzung in das nächste Schuljahr ist aktuell gefährdet. Die Ampel hat ihre Differenzen, und ein „weiter so“ darf es aufgrund der aktuell bestehenden und bevorstehenden Herausforderungen nicht geben. Die angespannte Konjunktur, Klimakrise, der anhaltende Krieg in der Ukraine, das schwierige Verhältnis zu China (Stichwort Lieferketten), jüngst die Erweiterung der BRICS. All das verunsichert die Bevölkerung sowie auch die Wirtschaft. Bedingt durch eine mangelhafte Digitalisierung sowie eine überbordende Bürokratie bleiben Investitionen in vielen Bereichen aus. Hinzu kommen gesellschaftliche Entwicklungen wie der demografische Wandel. Wenn die bevorstehenden Klausuren bestanden werden soll, muss die Ampel noch ordentlich büffeln.

Doch neben der Bewältigung der bevorstehenden Aufgabe, ist eines sicher: Will die Ampel ihren Ruf aufpolieren, benötigt sie ein neues kommunikatives Narrativ. Keine parteilich-getriebenen Einzelgänge, sondern eine gemeinsame Grundhaltung. Einen Kompass, auf dem sich alle verständigen. Die Sondierungsgespräche nach der Bundestagswahl 2021 haben gezeigt: Geschlossen läuft es, thematische Differenzen können intern ausgetragen und lösungsorientiert diskutiert werden – mit Ergebnissen anstatt Blockaden. Eine Koalition bedeutet immer Eingeständnisse und Kompromisse. Davon lebt eine Demokratie. Aber sie lebt auch von einer funktionierenden Regierung. Schaffen es alle Beteiligten glaubwürdig, geschlossen und gemeinschaftlich zu kommunizieren, persönliche Streitigkeiten außen vorzulassen und den anfänglichen Geist der Fortschrittskoalition erneut aufleben zu lassen, kann eine Versetzung doch noch gelingen. Es ist an der Zeit, dass die Bundesregierung endlich Fortschritt wagt – auch und vor allem in ihrer Kommunikation. Erinnern wir uns zurück an das Selfie von Baerbock, Habeck, Lindner und Wissing. Gemeinsam anstatt dagegen. Dialog anstatt Streit. Es ist wie in der Schule: Der Unterricht fällt leichter, wenn die Klassengemeinschaft harmoniert. Die Frage wird sein, ob Egos hinten angestellt werden können. Noch gibt es erst Halbjahreszeugnisse – genug Zeit also, um das Schuljahr doch noch mit guten Noten abzuschließen.

 

 

[1]https://amp2.handelsblatt.com/politik/deutschland/bundesregierung-mehrheit-der-deutschen-ist-unzufrieden-mit-ampel-regierung/29356904.html

[2]https://www.spiegel.de/politik/deutschland/verfolgen-sie-die-regierungsarbeit-im-spiegel-ampelradar-a-136bb7c1-d7bb-4776-8173-f62260f1c55d

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