Die Parallelen zwischen Deutschland und Österreich sind groß: Beide Länder eint die gemeinsame Sprache, die idyllische Alpenregion und eine ähnliche Kulinarik. Leider zeigt sich in den letzten Wochen auch eine gewisse politische Parallele: Erst zerbricht in Deutschland die Ampelkoalition, dann scheitern die österreichischen Koalitionsgespräche zwischen der konservativen ÖVP, der sozialdemokratischen SPÖ und den liberalen NEOS. Und kurz nachdem in Österreich Gespräche zwischen der ÖVP und der FPÖ beginnen, erlangt die CDU bei einer Abstimmung auch mit Stimmen der AfD eine Mehrheit. Was folgte, war eine denkwürdige Debatte im Deutschen Bundestag. Für viele Beobachter stellt das Erringen einer politischen Mehrheit mit den Stimmen der rechtsextremen AfD einen Dammbruch dar. Beide Ereignisse eint eines: das Komplettversagen der politischen Mitte, einen gangbaren Kompromiss unter den demokratischen Kräften im Parlament auszuhandeln.
An erster Stelle profitieren – auch hier liegt eine Verwandtschaft – die Rechtspopulisten: In Deutschland legt die AfD in Umfragen stetig zu, während Herbert Kickl, Obmann der rechtsextremen FPÖ, gar neuer Bundeskanzler (oder, wie er sagt „Reichskanzler“) Österreichs werden kann.
Der Kompromiss als Grundfeste Deutschlands
Beide politischen Konstrukte scheiterten an der hohen Kunst des argumentativen Ausgleichs in einer Demokratie: der Kompromissfindung. Während in anderen politischen Systemen, die ohne Koalitionen auskommen – Beispiel USA – der Kompromiss nicht verankert ist, leben gerade europäische Demokratien von der Kunst des Kompromisses. Natürlich ist es nicht immer attraktiv, zwischen verschiedenen Positionen einen Ausgleich finden zu müssen. Oft verhindern Kompromisse radikalere Reformen. Aber gerade kleine, wohl ausdiskutierte Schritte in die richtige Richtung bieten auch einen gewissen Schutz vor schwerwiegenden Fehlentscheidungen.
In Zeiten von Social Media agieren nicht nur Politik, sondern auch Unternehmen bei ihren Entscheidungen unter einem Brennglas der Öffentlichkeit. Alles kann kritisiert werden, Kompromisse werden immer von einer bestimmten Richtung bewertet. Die Ampel-Koalition galt von Anfang an für manche als zu neoliberal unter indirekter Führung der FDP, für andere hingegen als zu links-grün. Die Folge: Die Koalition agierte selten als Einheit, sondern stellte kommunikativ Parteiinteressen vor tatsächliche Inhalte. Die tägliche Arbeit ähnelte einem Wettkampf: Der Kompromiss galt als Gewinn bzw. Verlust für eine bestimmte Partei. Eine gefährliche Entwicklung, die in Österreich dazu geführt hat, dass nun eine gänzlich andere, womöglich im Kern rechtsradikale Politik betrieben werden kann.
Streit sät Unzufriedenheit und Unruhe. Von dieser profitieren immer radikalere Kräfte. Daher ist es eine besorgniserregende Entwicklung, dass eine zunehmende Unfähigkeit zur Kompromissfindung vorherrscht. Ob diese Tendenz in Deutschland dazu führen wird, dass – wie in Österreich – demnächst rechtsextreme Kräfte mitregieren werden, bezweifle ich. Aber wenn jetzt erste SPDler eine Koalition mit Friedrich Merz ausschließen und Markus Söder seit Wochen nicht müde wird, die Grünen als Staatsfeind Nummer Eins zu bezeichnen, zerbricht die politische Mitte.
Kompromisse als Ziel erfolgreicher Public-Affairs-Arbeit
Dieses verminte, politische Umfeld wäre zudem eine riesige Herausforderung für die Public-Affairs-Arbeit von Unternehmen. In der Gesetzgebung muss ein erfolgreicher Kompromiss nicht nur Interessen unterschiedlicher politischer Parteien ausgleichen, sondern auch verschiedene gesellschaftliche Gruppen repräsentieren. Dazu gehören immer auch Stimmen aus der Wirtschaft, von Verbänden und NGOs. In diesem Zuge ist es sinnvoll, den Mehrwert der Beteiligung von Unternehmen klar herauszustellen: Wer Politik macht, ohne Betroffene anzuhören, schafft keine Akzeptanz. Und ein Mangel an Akzeptanz führt zu angreifbaren Kompromissen und Streit. In diesem Sinne sollte Public-Affairs-Arbeit auch nicht als „böser Hinterzimmer-Lobbyismus“, sondern vielmehr als gesellschaftlicher Beitrag zur Konsensfindung verstanden werden.
Dazu ist es wichtig, mit realistischen Zielsetzungen in die Public-Affairs-Arbeit zu gehen. Selten sollten Maximalforderungen - wie eine 1:1-Umsetzung von Gesetzen nach eigenen Vorstellungen - Grundlage der PA-Arbeit sein. Vielmehr sollte klar definiert werden, in welchen Bereichen man einen messbaren Beitrag bei der Kompromissfindung leisten kann. Und auch, in welchen Bereichen man womöglich selbst einen Schritt zurückgehen muss.
Die Kunst der kleinen Schritte nach vorn gilt entsprechend nicht nur für die Politik, sondern gerade auch für die unternehmerische Perspektive. Unternehmen spiegeln damit auch die Gesellschaft. Nur wenn alle bereit sind für Kompromisse - von Einzelpersonen bis hin zu größeren Gruppierungen - können Lösungen gemeinsam errungen werden. Und damit Fortschritt erzielt und extreme Kräfte geschwächt werden. Denn Kompromisse sind kein notwendiges Übel, sondern Grundlage einer funktionierenden Gesellschaft.