20.10.2021 / SKM diskursiv

Genehmigungsverfahren: Teilhabe erhalten, NIMBY verhindern

Dass behördliche Genehmigungsverfahren für Infrastruktur- und Industrieprojekte in Deutschland zu lange dauern, gehört mittlerweile zu den Binsenweisheiten der wirtschaftspolitischen Standortanalyse. Kein Wunder also, dass die Notwendigkeit beschleunigter Genehmigungsverfahren im Abschlusspapier zu den rot-grün-gelben Sondierungsgesprächen gleich zweimal Erwähnung findet; unter der Überschrift „Moderner Staat und digitaler Aufbruch“ sowie im Kapitel „Klimaschutz in einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft“. Dass das Thema ausgerechnet unter einer Bundesregierung mit grüner Beteiligung eine solche Wertschätzung erfährt, ist nicht ohne Ironie.

Wenn bei Genehmigungsverfahren in der Vergangenheit sogenannte „Vorhabenträger“ über die Einsprüche von Stakeholdern klagten, stammten diese häufig von Einwendern mit politischer Nähe zu jener Partei, die jetzt eben diese Verfahren beschleunigen möchte. Scheiterte die Genehmigung von Infrastrukturprojekten, verzögerte sich die Entwicklung von Industriekomplexen oder wurde die vergleichsweise kleine Veränderung einer Produktionsanlage zur kaum überwindbaren regulatorischen Herausforderung, ging dies häufig auf ökologische Einwände von Bürgergruppen oder auch „Trägern öffentlicher Belange“, häufig mit Nachhaltigkeitsagenda, zurück. Zur Verärgerung zahlreicher Unternehmen klappte seit Beginn des Jahrhunderts nicht mehr, was in den 80er Jahren noch üblich war: das behördliche „Durchwinken“ von Großprojekten nach dem Motto „beantragt, genehmigt, gebaut“.

Teilhabe statt Durchwinken

Dass dies heute nicht mehr möglich ist, geht auf zwei Veränderungen des politischen und verwaltungsrechtlichen Rahmens zurück, die eng mit den Grünen und ihrer Entstehungsgeschichte verbunden sind. Wer auf die Anfänge der Partei zurückschaut, der entdeckt dort zwei Leitmotive, die beide erheblich zu Veränderung von Genehmigungsverfahren beigetragen haben:

  • die Bedeutung von Umwelt- (damit einhergehend auch Arten)schutz
  • die Idee einer Basisdemokratisierung politischer Prozesse.

Durch ersteres rückte zunächst die Bedeutung sauberer Luft, von Böden und Gewässern, später auch die Bedrohung von Tierarten und Klima in den Mittelpunkt des öffentlichen Diskurses. Das wirtschaftliche Interesse von Unternehmen musste hintanstehen. Letzteres wiederum verlangte, bis dahin ausschließlich politische bzw. verwaltungsprozessuale Entscheidungen für die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern zu öffnen, ihnen mehr Mitsprache und Teilhabe zu ermöglichen.

Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Beteiligungsverfahren haben sich geöffnet. Anders als vor 30 Jahren finden neben den Belangen der Vorhabenträger heutzutage auch andere Interessen Berücksichtigung. Dies gilt vor allem für den Schutz von „Flora, Fauna, Habitat“, der in den Mittelpunkt der Verfahren gerückt ist. Das frühe „Stakeholder Engagement“, die Einbindung von zivilgesellschaftlichen Interessenwalterinnen und -waltern jeglicher Couleur, ist nicht nur üblich, sie wird durch einschlägige Organisationen auch ausdrücklich empfohlen – beispielsweise den Verein Deutscher Ingenieure, in der Richtlinie VDI 7000.

Damit freilich wurden Genehmigungsprozesse nicht nur geöffnet und basis-demokratisiert (demokratisch waren sie auch schon vorher), sie wurden auch erheblich verlangsamt. Wer Bürgerinnen und Bürgern Rechte gibt, darf sich nicht wundern, wenn sie diese auch nutzen.

Maßgeblich für die sichtbaren Bremsspuren in den Verfahren waren jedoch nicht allein die legitimen Forderungen nach Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsinteressen oder auch demokratischer Teilhabe. Beinahe wichtiger war die Haltung zahlreicher Stakeholder, die unabhängig von parteipolitischen Präferenzen nach dem Prinzip „NIMBY – Not In My Backyard“ höchst effizient ökologische und andere Argumente als Hebel gegen die Genehmigung von Projekten einsetzten. Die wiederholte Befassung deutscher Verwaltungsgerichte mit Fischpopulationen oder Wechselkröten steht sinnbildlich für eine Genehmigungskultur, in der Partikularinteressen oder auch Ideologie weit mehr wogen als das Interesse des Vorhabenträgers – und schlimmer noch auch der Gesellschaft.

In den 10er Jahren wurde diese Entwicklung angesichts eines zunehmend an Nachhaltigkeitszielen orientierten Ausbaus der öffentlichen Infrastruktur zum Problem – auch für jene, die einst in Genehmigungsverfahren gegen Industrie und andere Projektplaner gekämpft hatten. Was zuvor als legitimer Widerstand gegen traditionelle Feindbilder (z.B. Atomkraftwerksbetreiber, Chemieunternehmen oder Autobauer) wohlwollende Duldung erfuhr, wurde angesichts der für den Ausbau der Windenergie notwendigen Stromtrassen oder der für E-Autos erforderlichen Fabriken zum Problem.

Vorhaben nicht ideologisieren und legitime Kritik berücksichtigen

Vor diesem Hintergrund muss es bei der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren um die richtige Balance gehen. Die künftige Regierung sollte bei allem Verständnis für den Wunsch nach schnelleren Genehmigungsverfahren die ursprüngliche Rationale für deren Öffnung (und die damit einhergehende Verlangsamung) nicht gänzlich übersehen. Wenn das Genehmigungspendel künftig in die andere Richtung schwingt, gilt es, vor allem zwei Fehlentwicklungen zu verhindern:

  1. „Gute und böse“ Vorhaben: Wer das politische Narrativ beim Thema „Genehmigungsverfahren“ in den vergangenen Jahren verfolgt hat, der ist unwillkürlich an den Besen des Zauberlehrlings erinnert, dessen ursprünglich positive Wirkung plötzlich ins Gegenteil umschlägt. Der Wunsch nach beschleunigten Genehmigungen kam bei einigen in der Politik offensichtlich erst dann auf, als nicht mehr nur die vermeintlich „bösen“ sondern „leider“ auch die guten Vorhaben verhindert wurden. Eine solche Sichtweise verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, der auch für Vorhabenträger gelten sollte. Die beteiligte Branche oder auch ihre Nähe bzw. Distanz zu Zielen des Klimaschutzes darf bei einer wie auch immer gearteten Veränderung des Genehmigungsrechts keine Rolle spielen. Wenn der Rahmen für die Genehmigung von (sicherlich klima-freundlichen) Windkraftparks im Sinne einer Beschleunigung verändert werden soll, muss dies auch für Chemie-Anlagen und Umgehungsstraßen gelten. Politische Teilhabe oder deren Einschränkung sollte für alle gelten, nicht für einige.
  2. Genehmigung ohne Beteiligung: Bei allem Verständnis dafür, dass Vorhabenträger ihre Projekte durchsetzen möchten, ist die Beteiligung von Bürgergruppen oder NGO’s nicht per se nur unter dem Gesichtspunkt der Verlangsamung von Prozessen zu sehen. Der Ausbau der Teilhabe war gut für die politische Kultur und hat vor allem auf lokaler Ebene für mehr gelebte Demokratie gesorgt. Valide Einwände wurden sichtbar, die vorher übersehen wurden.

Es bleibt abzuwarten, wie die nachvollziehbarerweise eher vagen Formulierungen aus der Sondierung in klare Ziele und konkrete Maßnahmen im Rahmen der Koalitionsvereinbarung überführt werden. Es muss darum gehen, offensichtlich formal-juristische Verhinderungsstrategien abzubauen, ohne gut begründete Wortmeldungen zu unterdrücken. Gut begründete Teilhabe legitimiert Projektgenehmigungen und sorgt so für notwendige gesellschaftliche Akzeptanz. NIMBY-Aktionen hingegen sind destruktiv und verhindern gesellschaftliche Entwicklung. Nun gilt es, letzteres zu unterbinden, ohne ersteres abzuschaffen. Die Aufgabe ist herausfordernd und sollte nicht in einem Formelkompromiss enden. Das hätten sowohl die Vorhabenträger, deren Projekte einer schnelleren Genehmigung bedürfen, als auch die zu beteiligende Zivilgesellschaft nicht verdient.

 

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©Ilya Schulte
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