12.09.2022 / Artikel

Vom Regisseur zum Akteur: Wie sich die Rolle der Unternehmenskommunikation verändert hat

Das wirtschaftliche und gesellschaftliche Umfeld von Unternehmen ändert sich rasant. Diese produzieren den Wandel jedoch nicht mehr mit, sondern sind ihm zunehmend ausgesetzt. Gerade jetzt brauchen sie ein Kommunikationsmanagement, das in puncto Tempo und Veränderungsbereitschaft, Nutzung zeitgemäßer Kommunikationsinstrumente und -kanäle optimal aufgestellt ist. In unserer neuen Artikel-Serie geht Dr. Thomas Daubenbüchel auf die zentralen Herausforderungen für die Unternehmenskommunikation ein.

Durch die Geschwindigkeit und Interaktivität der Sozialen Medien ist ein Kontrollverlust auf Seiten der Unternehmenskommunikation hinzugekommen. „Der neue mediale Raum, in dem gesprochen, geschrieben und gesendet, in dem gehört, gelesen und getwittert wird, hat zwei menschliche Fähigkeiten verloren: zu vergessen und zu verzeihen“, erkannte der frühere ZEIT-Herausgeber Michael Naumann bereits 2013 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Unternehmen oder ganze Wirtschaftszweige stehen in der Kritik – die Deutsche Bahn, Meta, Volkswagen und die Versicherungsbranche sind Beispiele. Vor diesem Hintergrund sind nicht mehr der Nachweis monetärer Erfolge gegenüber den Stake- und Shareholdern, sondern Vertrauen und Glaubwürdigkeit die zentralen Erfolgsfaktoren, um eine positive Reputation aufbauen zu können. Dazu brauchen Unternehmen mehr denn je ein Kommunikationsmanagement, das in puncto Tempo und Veränderungsbereitschaft, Nutzung zeitgemäßer Kommunikationsinstrumente und -kanäle ausgezeichnet aufgestellt sein muss. Aber in Kommunikationsabteilungen hat sich Verunsicherung breit gemacht. Ein wichtiger Grund dafür sind bestens informierte, am Dialog und nicht an einseitiger Verteilkommunikation interessierte Akteure wie Influencer und die informierte Öffentlichkeit insgesamt, die die kommunikativen Spielregeln (mit-)bestimmen.

Der erste Beitrag beschäftigt sich mit dem Thema:  
 

Always on

Kommunikationsabteilungen büßen die Kontrolle über Kommunikationskanäle ein. Statt einseitig mitteilender Techniken ist dialogorientierte Kommunikation gefragt. Zwei Beispiele zeigen, wie man mit der Herausforderung umgehen kann:

Bad Practice

Der Fall Nestlé liegt einige Jahr zurück, ist aber nach wie vor ein gutes Beispiel für verbesserungswürdige Kommunikation. Zum Hintergrund: Nestlé verarbeitete Palmöl des Anbieters Sinar Mas, dem größten Produzenten Indonesiens. Sinar Mas vernichtete dort – mit dem Wissen von Nestlé – für den Palm-Anbau große Urwaldflächen und damit den Lebensraum der Orang-Utans. Greenpeace veröffentlichte daraufhin einen Viralspot, der eine Empörungswelle auslöste.

Wie reagierte die Kommunikationsabteilung von Nestlé darauf?

  • Nestlé erwirkte eine anwaltliche Verfügung und ließ den Spot von YouTube entfernen.
    Folge: Die Empörungswelle verstärkte sich.
  • Nestlé veröffentliche eine Pressemeldung, in der das Unternehmen auf die Umweltverträglichkeit pochte.
    Folge: Im Internet schwoll die Diskussion um die Verwendung von Palmöl an; User stürmten die Kitkat-Fanseite auf Facebook.
  • Nestlé schaltete die Seite ab.
    Folge: Unterschriftensammlungen, eine Twitter-Wall vor der Nestlé-Zentrale, Demos und Labelaktionen in Supermärkten wurden organisiert.
  • Erst dann lenkte Nestlé ein, kündigte den Vertrag mit Sinar Mas und sicherte zu, nur noch umweltverträglich gewonnenes Palmöl zu gewinnen.

Best Practice

Wie man es anders machen kann, zeigt ITS InfoTurmStuttgart:

Es ist eines der größten und zugleich wohl umstrittensten Bauprojekte Deutschlands: das DB-Projekt Stuttgart-Ulm mit den beiden Teilbereichen Stuttgart21 und der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm. „Milliardengrab“ und „Klima-Bahn statt Beton-Wahn“ lauten Medien-Schlagzeilen, die immer wieder neue Bürgerproteste auf den Plan rufen. Nach Kritik an seiner Informationspolitik musste 2016 der damalige stellvertretende Bahnchef Volker Kefer seinen Vorstandsposten räumen.

2020 ging die Deutsche Bahn schließlich mit der Neueröffnung des ITS Infoturms Stuttgart in die kommunikative Online-Offensive. ITS ist auf den ersten Blick ein Infogebäude an Gleis 16 des Stuttgarter Bahnhofs – aber ITS ist mehr: Es ist insbesondere das breit angelegte Online- und Social Media-Informationsangebot, das 2022 in der Kategorie „Verkehr, Transport & Logistik“ mit dem Projekt „Großbaustelle meets Social Media“ den „Deutschen Preis für Onlinekommunikation“ (DPOK) gewonnen hat, der von der Quadriga Media Berlin GmbH vergeben und als wichtiger Digital-Award im deutschsprachigen Raum gilt.

Der ITS „lädt alle ein, sich ihr eigenes Bild zu machen“, in erster Linie in Form von Website- und Social Media-Info-Angeboten:

  • Interessierte können eine multimediale, interaktive Ausstellung besuchen.
  • In der „physischen“ Ausstellung bedient sich ITS der Augmented Reality-Technik und eines sogenannten „Cave“: Beamer, die das gesamte Sichtfeld abdecken, ermöglichen einen virtuellen Rundgang durch den künftigen Hauptbahnhof. Besucher können sich zudem interaktiv durch die virtuelle Projektion steuern.
  • ITS bietet einen News- und Pressebereich als „Kommunikationsplattform“ für den „kontinuierlichen Informationsfluss und bereichernden Austausch mit unseren Bürgerinnen und Bürgern sowie Partnern“.
  • ITS veranstaltet Online-Events und Aktionen.
  • Über Webcams kann der Baufortschritt vom heimischen Sofa aus live verfolgt werden.
  • ITS hatte 2021 über 5.000 Follower auf Instagram und über 10.000 Abonnenten auf Facebook sowie rund 1,1 Millionen erreichte Personen auf Instagram und knapp 950.000 auf Facebook (Quelle: www.its-projekt.de/verein-mit-erstem-platz-fuer-onlinekommunikation/).

Entgegen der bisherigen Wahrnehmung in der Öffentlichkeit setzt die Bahn mit its-projekt.de ganz bewusst auf:

  • Offenheit: its-projekt.de liefert Hintergrundinformationen, gewährt Einblicke hinter die Kulissen und macht das Projekt auch online erlebbar.
  • Transparenz: Via Webbrowser kann die Öffentlichkeit live dabei sein – nichts soll im Verborgenen stattfinden.
  • Einbindung: Interessierte sollen bewusst zu einer „Community“ verbunden werden. Die Macher sprechen in ihrem Online-Angebot ausdrücklich „alle zukunftsorientierten Bürgerinnen und Bürger“ an.

Welche Erkenntnisse kann man aus den Beispielen ziehen?

Das Internet hat die Kommunikation zwischen Unternehmen und ihren Bezugsgruppen und damit die Rahmenbedingungen der Unternehmenskommunikation komplett verändert. Daraus sind sowohl Herausforderungen als auch Chancen erwachsen:

Das Netz als Dialogplattform, Frühwarnsystem und Informationspool

Die ständig zunehmende Vielfalt von Websites, Online-Datenbanken und digitalen Anwendungen hat neue Potenziale für den Dialog mit Stakeholdern eröffnet. Das Netz kann als Frühwarnsystem dienen (Stichwort „Issue Management“) und bildet in seiner Gesamtheit einen globalen Informationspool, der bei der Analyse, Planung, Umsetzung und Kontrolle der Unternehmenskommunikation genutzt werden kann.

Informationsflut macht Selektion und Fokussierung notwendig

Gleichzeitig haben Internet und Social Media dazu geführt – und werden weiter dazu führen, dass sich die Kommunikationsverantwortlichen mit einer nicht zu beherrschenden Informationsflut konfrontiert sehen. Die Notwendigkeit zur Selektion und zur Fokussierung tritt deutlich zu Tage. Ebenso haben die Akteurinnen und Akteure der Unternehmenskommunikation erfahren, dass sie die Hoheit über die Kommunikationskanäle eingebüßt haben.

Verkürzte Reaktionszeiten

Außerdem ermöglichen Digitalisierung und Globalisierung ein unmittelbares Feedback und führen zu verkürzten Reaktionszeiten. Was die Rezipienten früher noch unter Echtzeit verstanden haben, hat den Kommunikationsverantwortlichen in der Regel noch Zeit gelassen, eine Reaktion zu überdenken. Echtzeit heute heißt live.

Monitoring 24/7

Das Netz kennt zudem keinen Redaktionsschluss: Für die Unternehmenskommunikation bedeutet dies, dass sie im Prinzip ein Monitoring rund um die Uhr betreiben muss, um mögliche „actionable items“, also Sachverhalte, die für die Unternehmen relevant sind, zu erkennen. Verfahren des Social-Media-Monitorings haben nach wie vor Hochkonjunktur. Entscheidend ist aber nicht das Anhäufen von Datenmengen, sondern das „Data Mining“, d.h. das Herausfiltern relevanter Informationen aus der Datenmenge, etwa um die Kundenzufriedenheit zu erfassen oder kritische Themen ausfindig zu machen. Die Evaluation kommunikativer Aktivitäten hat die Unternehmenskommunikation schon seit jeher vor große Herausforderungen gestellt. Dann ist das Erfordernis einer Erfolgsmessung in den Onlinemedien hinzugekommen. Da Online heißt, im besten Fall in Echtzeit zu reagieren, scheidet eine Ex-Post-Evaluation aus – aus „danach“ ist „während“ geworden. Erforderlich ist eine begleitende Erhebung von Leistungskennzahlen zur Messung des Online-Erfolgs.

Journalisten büßen Gatekeeper-Funktion ein

Weil soziale Netzwerke der Öffentlichkeitsarbeit vielfältige Wege eröffnet haben, direkt mit ihren Bezugsgruppen zu kommunizieren, büßen Journalistinnen und Journalisten, Redaktionen und Nachrichtenagenturen zunehmend ihre Rolle des Gatekeepers ein. Stattdessen wird die Nutzung von Social Media von den Rezipienten als Alternative zu klassischen Medien gesehen, was dazu führt, dass vor allem jüngere Rezipienten die klassischen Medien als Informationsquelle umgehen. In den Social Media sind daher neue Formen des „Journalismus“ entstanden, das heißt Social-Media-Nutzer beteiligen sich am Prozess der Inhaltsproduktion außerhalb einer Berufstätigkeit.

Rechercheinstrument Internet

Zudem ist das Internet zum Ausgangpunkt journalistischer Recherche geworden. Das Internet als Recherchequelle ist laut Berufsfeldstudie „Wie Journalisten heute arbeiten“ von newsaktuell von Platz fünf (2002) inzwischen auf den ersten Platz gerückt. Bei den Suchmaschinen hat Google mit über 90 Prozent bei Medienschaffenden absolute Dominanz. Für Unternehmen bedeute das, wenn sie im Internet und Social Web nicht vertreten sind und (noch wichtiger) über Google & Co nicht ganz vorne auffindbar sind, existieren sie in der Wahrnehmung der meisten Internetnutzer nicht. Suchmaschinenoptimierung wird vor diesem Hintergrund noch weiter an Bedeutung gewinnen.

 

Der nächste Beitrag der Reihe „Die zentralen Herausforderungen der Unternehmenskommunikation“ beschäftigt sich mit dem Thema Mitarbeiter als Botschafter.

 

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@Gerd Altmann
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