Problem
Hintergrund der Beauftragung war eine Gesetzesnovelle des Bundestags. Diese sah vor, dass eine bislang von Anwendern selbst zu zahlende Arzneimitteltherapie für spezifische Patientengruppen durch Krankenkassen erstattungsfähig würde. Der G-BA wurde vom Gesetzgeber beauftragt, dies durch eine Anpassung seiner Arzneimittelrichtlinie zu ermöglichen. Zu diesem Zweck hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zunächst eine Nutzenbewertung verschiedener Wirkstoffe in der Indikation vorgenommen.
Für unseren Mandanten als Hersteller einer der untersuchten Wirkstoffe ergaben sich aus dieser Ausgangslage zahlreiche Fragen und Unwägbarkeiten, die es im Sinne der produktionstechnischen, logistischen und betriebswirtschaftlichen Planungen zu beantworten galt:
- Die Zielgruppe war nicht genau definiert. Für welchen Teil der Betroffenen sollte die Therapie erstattungsfähig werden? Welche wissenschaftliche Methodologie sollte für die Definition der Zielgruppe herangezogen werden?
- Die Rolle der Gesundheitsakteure war unklar. Wer sollte bei der Verschreibung eingebunden sein: Krankenkassen, Ärztinnen und Ärzte, Apothekerinnen und Apotheker? Wer würde die Betroffenen über die Erstattungsfähigkeit informieren und könnten bürokratische Hürden diese möglicherweise erschweren?
- Die Mitsprachemöglichkeiten für betroffene Unternehmen waren nicht bekannt. Was könnte das Unternehmen tun, um den Prozess im Interesse der bestmöglichen Anwendung der Therapie mitzugestalten? Welche Möglichkeiten hatte es, um sich darüber in Gesetzgebungsprozesse zur Verbesserung des Zugangs zu entsprechenden Therapien einzubringen?
- Der Zeitrahmen für die Umsetzung war ungewiss. Wie könnte das Unternehmen möglichst frühzeitig Informationen über den Zeitplan der Änderungen erhalten und eine rasche Umsetzung unterstützen?
Prozess
Angesichts einer politisch und regulatorisch sehr komplexen und in Auswirkungen nicht absehbaren Gesamtlage hat das zuständige Team bei SKM gemeinsam mit dem Mandanten mögliche Verlaufsszenarien entwickelt und in deren Rahmen unternehmerische Zielsetzungen definiert. Ausgangspunkt hierfür war eine Analyse der Chancen und Risiken der Novellierung der Arzneimittelrichtlinie. Diese basierte auf öffentlich zugänglichen Dokumenten (Verfahrensübersicht, IQWiG-Bericht, Stellungnahmen) sowie Recherchegesprächen mit Prozessbeteiligten. Anzusprechende Stakeholder wurden in formal am Prozess beteiligte Institutionen und einflussnehmende Personen unterteilt.
Um einen kontinuierlichen Stakeholder-Dialog zu ermöglichen, wurde ein einheitliches Vorgehen festgelegt: SKM übernahm die Anbahnung und inhaltliche Vorbereitung der Stakeholdertermine (Talking Points, Kernbotschaften) und begleitete die Gespräche vor Ort. Die in diesem Zusammenhang gewonnene Erkenntnisse dienten der Anbahnung und Vorbereitung weiterer Gespräche, nicht zuletzt auch im politischen Raum. So wurden im Laufe des Projektzeitraums auch Gespräche mit Bundestagsabgeordneten geführt, die sich parallel zum G-BA Prozess mit der Verbesserung des Zugangs zu entsprechenden Arzneimitteltherapien befassten.
Lösung
Im Kern setzte die strategische Herangehensweise auf drei Kernelelemente:
- Der Erfolg der Maßnahmen beruhte auf der direkten und indirekten Beeinflussung des Prozesses. Die ausschließliche Fokussierung auf den formalen regulatorischen Prozess und seine daran beteiligten Stakeholder hätte das Potential der Informationsbeschaffung und Einflussmöglichkeit eingeschränkt. Gespräche wurden geführt mit
- direkt (formal) an der Regulation (Anpassung der Arzneimittelrichtlinie) beteiligten Prozessteilnehmern (GKV, KBV, Patientenvertretung) und
- indirekt am Prozess beteiligten Interessengruppen wie medizinische Experten, Krankenkassen, Patientenorganisationen und Kassenärztliche Vereinigungen.
- Die Ansprache von Stakeholdern erfolgte auf Basis ihrer fachlichen Zuständigkeit. Gesprächsanfragen wurden nicht an persönliche Bekanntschaften innerhalb der jeweiligen Organisation gerichtet, sondern erfolgten passgenau auf Basis der legislativen oder regulatorischen Funktion. Das im Verlauf des Prozesses entwickelte Netzwerk beruhte nicht auf berufsständischen Verbindungen oder parteipolitischer Nähe, sondern orientierte sich am regulatorischen Prozess.
- Die inhaltliche Positionierung des Unternehmens erfolgte in der Sache. Der Austausch mit Stakeholdern beruhte auf wissenschaftlichen Argumenten und setzte sich mit der legislativen Aufgabenstellung auseinander. Das Unternehmen adressierte nicht das unternehmerische Einzelinteresse, sondern die gesellschaftliche Herausforderung. Bewusst nicht thematisiert wurden steuerliche Aspekte, wirtschaftspolitische Standortargumente oder auch individuelle (Wahlkreis-)Interessen. Es ging um den Nutzen für Patientinnen und Patienten sowie das Gesundheitswesen in Deutschland.
Im Ergebnis haben die Public Affairs-Maßnahmen die Sichtbarkeit des Unternehmens und – wichtiger noch – seiner Positionen zur Richtliniennovelle erheblich erhöht und diese beeinflusst. Die Stakeholder, mit denen sich unser Mandant austauschte, wirkten als Multiplikator, um die wissenschaftliche Argumentation des Unternehmens an weitere Prozessbeteiligte heranzutragen. Zudem ist es gelungen, die Unternehmenspositionen direkt und indirekt in einen parallel zum regulatorischen Prozess angestoßenen Gesetzgebungsinitiative einzubringen. Rückmeldungen von politischen und behördlichen Stakeholdern lassen auf eine deutliche Reputationssteigerung des Unternehmens schließen.
Bildnachweis:
@Claudio Schwarz
Unsplash