19.09.2023 / Artikel

Den Wasserstoffhochlauf durch frühe Stakeholder-Ansprache beschleunigen

Für den im Rahmen der Energiewende geplanten Bau eines Wasserstoffnetzes müssen Vorhabenträger nicht allein technische und finanzielle Herausforderungen überwinden, sondern auch Vorbehalte. Um die zeitlichen Vorgaben der Politik zu erfüllen, sollten sie sich deshalb nicht nur auf rechtliche und regulatorische Aufgabenstellungen vorbereiten, sondern vor allem auch auf kommunikative. Möglichst unauffällige Genehmigungsverfahren „unter dem Radar“ von lokaler Politik, Medien und Bevölkerung sorgen nicht für eine Beschleunigung der Projekte. Im Gegenteil: Sie fördern Misstrauen und Vorbehalte. Das verzögert den Projektverlauf, kostet Akzeptanz und Geld. Voraussetzung für den Ausbau des Wasserstoffnetzes ist der Ausbau der Stakeholder-Ansprache.

Wasserstoff (H2) ist als Energieträger der Zukunft und zentraler Baustein der Energiewende gesetzt. Er soll perspektivisch wesentlich dazu beitragen, industrielle Prozesse, die sich nicht ohne Weiteres elektrifizieren lassen, zu dekarbonisieren. Das große Aber: Bislang fehlt die notwendige Infrastruktur – sowohl für die inländische Wasserstoffproduktion als auch den Import bzw. Transport.

Letztere soll nun bis 2032 mit dem Wasserstoffkernnetz geschaffen werden. Dafür wird gerade im ganzen Land der Neubau zahlreicher Pipelines und die Umrüstung bestehender Gasfernleitungen geplant. Das Kernnetz soll einerseits die deutschen Industriezentren mit Wasserstoff versorgen, andererseits als Ausgangspunkt für eine künftige, integrierte Netzplanung dienen – auch für den Transport von Methan.

Mammutaufgabe H2-Kernnetz

Mit dem H2-Kernnetz fällt also der Startschuss für dutzende H2-Leitungsprojekte, die zeitnah geplant, genehmigt und gebaut werden müssen – im besten Falle parallel. Allein für Nordrhein-Westfalen sind im H2-Kernnetz Leitungsbauprojekte mit einem Gesamtumfang von mehreren hundert Kilometern Länge vorgesehen. Von ihrer rechtzeitigen Umsetzung hängt die H2-Perspektive für unzählige große und mittelständische Unternehmen sowie der kommunalen Wärmeversorgung von zahlreichen Städten und Gemeinden ab. Die notwendigen Entscheidungen bis Ende 2023 vorausgesetzt, bleiben für die Umsetzung genau acht Jahre. Nicht viel Zeit für Infrastrukturprojekte dieser Größenordnung.

Daraus erwächst eine Herausforderung für Vorhabenträger, Genehmigungsbehörden sowie Politik und Gesellschaft, wie es sie in dieser Qualität und Größenordnung bisher nicht gegeben hat. Zudem müssen sich alle Akteure mit einem „neuen Energieträger“ auseinandersetzen, der perspektivisch das über Jahrzehnte gewohnte Erdgas ersetzen wird. Es wird deutlich: Der Schlüsselfaktor für einen erfolgreichen Wasserstoffhochlauf ist Akzeptanz.

Die Herausforderung: Lange Projektlaufzeiten und Akzeptanz für gesamtgesellschaftliche Ziele

Über die Notwendigkeit eines schnellen Hochlaufs der Wasserstoffwirtschaft besteht ein breiter Konsens – zumindest in Politik und Wirtschaft. Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass „zu wenig und zu langsam“ als Tenor der Berichterstattung kein gutes Zwischenzeugnis für Umbau und Ausbau der Energieinfrastruktur in Deutschland ist. Zähe Genehmigungsprozesse beim Bau von Windparks und hitzige Diskussionen über den Verlauf der großen Nord-Süd-Stromtrassen zeigen: Gesamtgesellschaftliche Ziele führen nicht automatisch zu hoher Akzeptanz, schnellen Genehmigungen und erfolgreichen Projekten. Dabei ist Geschwindigkeit entscheidend, um die Klimaziele und die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland unter einen Hut zu bringen.

Für das von der Bundesregierung viel beschworene „Deutschlandtempo“ bei der Realisierung von Großprojekten fehlen in der Praxis bislang die Belege. Genehmigungsverfahren zu beschleunigen ist eine gute Idee, aber wo und wie soll wertvolle Zeit eingespart werden? Bei den inhaltlich-technischen Anforderungen an die Planungsunterlagen? Bei der formellen Beteiligung? Es besteht die Gefahr, die Herausforderungen lediglich zu verlagern: Denn sinkt durch die Beschleunigung die Akzeptanz, werden die Projektverzögerungen durch Proteste und Klagen nur größer. Oder anders gesagt: An formeller wie informeller Beteiligung durch Information und Dialog darf bei Infrastrukturvorhaben nicht gespart werden.

Der Schlüssel: Mehr Dialog, mehr Beteiligung, mehr Projektkommunikation

Gute Projektkommunikation bildet die Brücke zwischen den Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie der anschließenden Bauphase und den externen Stakeholdern aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft. Sie ist fester Projektbestandteil, beginnt mit dem Projektauftakt und endet mit der Inbetriebnahme. Die Kernaufgabe bleibt dabei im gesamten Projektverlauf gleich: Betroffene frühzeitig aktiv und transparent zu informieren, lokale Expertise für eine tragfähige Lösung einzubinden, Konflikte frühzeitig zu identifizieren und zu entschärfen. Das Ziel: Akzeptanz schaffen, rechtliche Auseinandersetzungen vermeiden und so das Risiko einer Projektverzögerung substanziell zu verringern.

Zur Grundausstattung gehören neben einer Stakeholder-Analyse und einem Kommunikationskonzept u.a. die Bereitstellung analoger und digitaler Informationsmaterialien, niederschwellige Kontaktangebote zum Projekt sowie öffentliche und vertrauliche Dialogformate, Medienarbeit und Social Media. Nicht zuletzt braucht es ein kommunikativ geschultes Team, welches als „Gesicht“ das Projekt gegenüber verschiedenen Anspruchsgruppen repräsentieren kann. Der „Return on Investment“ ist im Sinne der Projektziele nicht zu unterschätzen: Jeder Konflikt, der im Rahmen der frühen Öffentlichkeitsbeteiligung ohne juristische Auseinandersetzung gelöst wird, ist ein Projektrisiko weniger. Jede vermiedene Verzögerung spart bares Geld. Der Fall des H2-Kernnetzes birgt dabei noch eine besondere Herausforderung, denn durch die zeitliche und räumliche Nähe der einzelnen H2-Projekte zueinander, überschneiden sich Stakeholder und Kommunikationsräume. Das heißt: Es kommt auch auf die Projektkommunikation der anderen Vorhabenträger an!

Den Wasserstoffhochlauf ins Ziel bringen

Was braucht es also, um die vielen parallelen Leitungsprojekte im Zuge des H2-Kernnetzes innerhalb weniger Jahre zielgerecht umzusetzen?

  • Akzeptanz braucht Verständnis

Ohne ein klares Verständnis der Stakeholder für Projektzielen, -planung und -stand lässt sich keine Akzeptanz, geschweige denn Unterstützung herstellen. Die Bereitstellung von Informationsmaterialien oder das Durchführen einer Dialogveranstaltung allein reicht nicht aus. Die Projektinhalte müssen für die Stakeholder übersetzt werden.

  • Akzeptanz braucht Vertrauen

Viele der für Anspruchsgruppen wie Anwohner, Grundstücksbesitzer und betroffene Kommunen relevanten Details klären sich im Verlauf des Planungsprozesses sehr spät. Ob das Projekt im Sinne des jeweiligen Stakeholders ist, bleibt also unklar. Besteht jedoch ein Grundvertrauen zwischen Vorhabenträger und Stakeholder, ist eine Zusammenarbeit dennoch möglich. Eine frühe, aktive Einbindung der Stakeholder und ein kontinuierlicher Austausch über den gesamten Projektverlauf schaffen Vertrauen. Sprechen sich regional bzw. lokal etablierte Akteure für das Projekt und den Vorhabenträger aus, fördert diess die Vertrauensbildung enorm.

  • Akzeptanz braucht Legitimität 1/2

Infrastrukturprojekte dienen in der Regel einem übergeordneten, gesellschaftlichen Ziel. Daraus kann Akzeptanz entstehen, vor allem dann, wenn sich nicht allein die Vorhabenträger, sondern auch andere Akteure, bevorzugt mit öffentlich akzeptierter Legitimität, sichtbar für das Projekt aussprechen. Kurz gesagt: Die aktive Unterstützung durch die Politik, (Umwelt-)Verbände und andere zivilgesellschaftliche Gruppe ist ein zentraler Erfolgsfaktor für Infrastrukturprojekte. Die Schwierigkeiten beim Ausbau der Windenergie zeigen deutlich, dass Anlagen nur gebaut werden, wenn sie vor Ort eine starke Lobby haben.

  • Akzeptanz braucht Legitimität 2/2

Die zweite Quelle für Akzeptanz sind die Genehmigungsverfahren; im Fall des H2-Kernnetzes die der Raumordnung und der Planfeststellung. Die Verfahren stellen sicher, dass Interessen, Ziele und Schutzgüter durch eine neutrale Behörde im gesetzlichen Auftrag transparent gegeneinander abgewogen und Träger öffentlicher Belange (TÖB) angehört werden. Legitimität garantiert? Nein! Denn nur wer Ablauf, Inhalte und Besonderheiten der Verfahren nachvollzogen hat, kann deren Ergebnis als legitimitätsstiftend wahrnehmen. Heißt also: Genehmigungsverfahren müssen kommuniziert und erklärt werden. Ein Genehmigungsverfahren „im stillen Kämmerlein“ hat keinen Wert, es muss wahrgenommen werden, um Legitimität und Akzeptanz zu generieren.

  • Akzeptanz braucht Qualität

Die optimale Variante einer Leitungstrasse trifft nicht nur alle Zwangspunkte und bleibt beim Bau im Zeit- und Budgetrahmen, sie verursacht auch möglichst geringe Eingriffe in Schutzgüter und wird von der Mehrheit der Stakeholder mitgetragen. Alles eine Frage der Planung. Deren Qualität hängt maßgeblich von der Informationslage ab. Dazu gehört das Wissen um spezifische lokale Streitfragen ebenso wie Bebauungspläne und Eigentumsverhältnisse. Stakeholder vor Ort kennen das Projektumfeld meist besser als die Vorhabenträger. Entsprechend wertvoll können ihre Hinweise für die Qualität der Projektplanung sein.

Fazit: Der Wasserstoffhochlauf braucht einen Dialoghochlauf

Die Energiewende verlangt eine Jahrhunderttransformation. Gleichzeitig eröffnet sie die Chance, der deutschen Wirtschaft einen Weg ins postfossile Zeitalter zu ebnen. Das Wasserstoffkernnetz ist dafür ein zentrales Puzzlestück. Damit ein liquider H2-Markt und eine Wasserstoffwirtschaft entstehen können, bedarf es gewaltiger Investitionen. Eine deutschlandweite Transportinfrastruktur könnte das Henne-Ei-Problem lösen und eine verlässliche Perspektive für alle Akteure schaffen.

Dies wird jedoch nur gelingen, wenn Politik und Vorhabenträger gemeinsam Überzeugungsarbeit leisten und im Dialog verständlich erläutern, warum es dazu – neben dem Ausbau des Stromnetzes und der Erneuerbaren – neue Pipelines, Stationen, Speicher und Standorte für Elektrolyseure braucht. Damit wird das H2-Kernnetz auch zu einer gewaltigen Kommunikationsaufgabe.

 

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