Nach dem Pride Month ist vor dem Weltfrauentag. Nach dem World Cancer Day ist vor der Solidaritätskampagne mit der Ukraine. IGOs und NGOs setzen beinahe täglich hoch-professionelle und global ausgerichtete Kampagnenzüge auf die Schiene. Da lässt sich als Corporate-Affairs-Abteilung leicht draufspringen. Und schon können die X AG oder der Y Verband im Einklang mit Millionen anderer Menschen ihrer ernsten Besorgnis, unverbrüchlichen Loyalität oder tiefen Verärgerung Ausdruck geben – sei es nun für einen guten Zweck oder gegen eine schreiende Ungerechtigkeit.
The business of business …
Das wirkt sympathisch und ist zudem recht unaufwändig. Die Regenbogenfahnen vor der Parteizentrale sind schnell aufgezogen, der Post für weniger Mikroplastik in den Weltmeeren leicht geschrieben. Zum Internationalen Tag gegen Kinderarbeit auf der Webpage mal schnell daran erinnern, als „bewusste Konsumenten“ bitte schön nicht immer das billigste Produkt zu kaufen? Einfach.
Wenn es gut läuft, vermittelt Weltanschauungsexhibitionismus dieser Art den Eindruck der Belanglosigkeit. Wenn’s schlimm kommt, wirkt er heuchlerisch, in Teilen auch verlogen. Stellt sich die Frage, wie sich diese Wahrnehmung vermeiden lässt. Wäre es nicht am einfachsten, wenn sich Unternehmen grundsätzlich aus Debatten dieser Art heraushalten? Ist Schweigen also doch Gold?
Vor nicht allzu langer Zeit hätten die meisten Kommunikatoren diese Frage mit einem klaren Ja beantwortet. Viele Jahrzehnte galt der berühmte Satz des Ökonomen Milton Friedman: „The business of business is business.”[1] Mit anderen Worten: Unternehmen sollten sich aus gesellschaftlichen Debatten heraushalten und auf ihren eigentlichen Daseinszweck konzentrieren: das Geldverdienen. Die Rolle als Corporate Citizen ist im Ergebnis dann darauf beschränkt, Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen und Steuern zu zahlen.
Inklusiver Kapitalismus
Diese Zeiten sind vorbei. Das Selbstverständnis von Unternehmen hat sich spätestens seit der Jahrtausendwende drastisch verändert. Im Kern geht es um die Entwicklung von einer ausschließlich unternehmerischen zu einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive. In dem alljährlich von der Bertelsmann-Stiftung veröffentlichten „Monitor Unternehmensengagement“ heißt in der Ausgabe des Jahres 2022: „Unternehmen sehen sich selbst zunehmend als gesellschaftsgestaltende Akteure. Indikatoren dafür sind die konstante Zunahme eigener Projekte, die Entwicklung hin zu (…) Projekten im Klima- und Umweltschutz, das Engagement in der Flüchtlingshilfe und eine vermehrt gesellschaftspolitische Positionierung.“[2]
Zu den Verteidigern eines solcherart erweiterten unternehmerischen Selbstverständnisses gehört auch Joe Kaeser. Der ehemalige Siemens-CEO ließ es sich nicht nehmen, das berühmte Friedman-Zitat zu paraphrasieren und so in sein Gegenteil zu verkehren: „The business of business is to serve society.“ Kaeser widerspricht ausdrücklich nicht dem Ziel von „Gewinnen und Margen“, sieht den „tieferen Sinn“ von Unternehmen jedoch erst dann gegeben, „wenn sie Wert schaffen nicht nur für Shareholder und Stakeholder, sondern für eine integrierte Interessengemeinschaft.“[3]
Worte und (!) Taten
Womit wir zu der Frage zurückkehren können, wann sich Unternehmen an gesellschaftlichen Debatten beteiligen sollten. Die Antwort lautet: immer dann, wenn sie im Sinne des von Kaeser beschriebenen „inklusiven Kapitalismus“ wirklich der Gesellschaft dienen – also den Worten auch Taten folgen lassen. Wenn das gelingt, profitieren alle: die Gesellschaft vom nachhaltigen unternehmerischen Engagement und das Unternehmen durch ein verbessertes Image (vor allem bei den so raren jungen Talenten). Gelingt es nicht, wird der vermeintlich strahlende Corporate Citizen schnell zum König ohne Kleider – eine Witzfigur.
Anders formuliert: Nur weil ein guter Zweck aller Ehren wert ist, gilt das noch lange nicht für die dazugehörige „Corporate Campaign“. Da hat der Sponsor des Weltfrauentags kein weibliches Vorstandsmitglied. Da schmückt die Ukraine-Fahne die Meeting-Räume eines Unternehmens, das auf der Harvard-Liste der Geschäftspartner von Gazprom steht. Da wird die Solidarität mit George Floyd zelebriert, ohne jegliche Verbindung in eine der entsprechenden Communities in den USA. Macht das Sinn? Wohl kaum. Ist es gefährlich? Auf jeden Fall. Schnell endet der vermeintliche Einsatz für die Employer Brand im Shit Storm – häufig angefacht durch jene, die man doch eigentlich gewinnen wollte.
Drei Fragen als Kriterium
Paul Argenti, Professor für Unternehmenskommunikation am Dartmouth College in New Hampshire, nennt drei einfache Fragen[4], deren Beantwortung darüber entscheiden sollte, ob sich Unternehmen in öffentlichen Debatten engagieren:
- Passt das Thema zu Mission und Werten des Unternehmens?
- Kann man die in der Debatte angesprochene Thematik sinnvoll beeinflussen?
- Stimmen die Stakeholder des Unternehmens der Unternehmensposition zu?