04.09.2024 / SKM diskursiv

Wenn das Thema nicht passt, einfach mal den Mund halten

Dass Unternehmen auch den politischen Diskurs pflegen, ist mittlerweile üblich. Sei es die Black-Lives-Matter-Bewegung oder der Einsatz für LGBTQIA+-Rechte; Unternehmen zeigen öffentlich Haltung – nicht nur bei Wirtschaftsthemen. Doch Kommunikations- und Public-Affairs-Abteilungen sollten bedenken, dass die Positionierung nicht allzu wahllos ausfallen darf. Öffentliche Wortmeldungen von Unternehmen zu gesellschaftlichen Fragestellungen können sinnvoll sein, jedoch doch nur dann, wenn sie wohldosiert erfolgen und die Themenstellung nachvollziehbar ist. Eine passende Auswahl zu treffen, fällt gar nicht so schwer.

Nach dem Pride Month ist vor dem Weltfrauentag. Nach dem World Cancer Day ist vor der Solidaritätskampagne mit der Ukraine. IGOs und NGOs setzen beinahe täglich hoch-professionelle und global ausgerichtete Kampagnenzüge auf die Schiene. Da lässt sich als Corporate-Affairs-Abteilung leicht draufspringen. Und schon können die X AG oder der Y Verband im Einklang mit Millionen anderer Menschen ihrer ernsten Besorgnis, unverbrüchlichen Loyalität oder tiefen Verärgerung Ausdruck geben – sei es nun für einen guten Zweck oder gegen eine schreiende Ungerechtigkeit.

The business of business …

Das wirkt sympathisch und ist zudem recht unaufwändig. Die Regenbogenfahnen vor der Parteizentrale sind schnell aufgezogen, der Post für weniger Mikroplastik in den Weltmeeren leicht geschrieben. Zum Internationalen Tag gegen Kinderarbeit auf der Webpage mal schnell daran erinnern, als „bewusste Konsumenten“ bitte schön nicht immer das billigste Produkt zu kaufen? Einfach.

Wenn es gut läuft, vermittelt Weltanschauungsexhibitionismus dieser Art den Eindruck der Belanglosigkeit. Wenn’s schlimm kommt, wirkt er heuchlerisch, in Teilen auch verlogen. Stellt sich die Frage, wie sich diese Wahrnehmung vermeiden lässt. Wäre es nicht am einfachsten, wenn sich Unternehmen grundsätzlich aus Debatten dieser Art heraushalten? Ist Schweigen also doch Gold?

Vor nicht allzu langer Zeit hätten die meisten Kommunikatoren diese Frage mit einem klaren Ja beantwortet. Viele Jahrzehnte galt der berühmte Satz des Ökonomen Milton Friedman: „The business of business is business.”[1] Mit anderen Worten: Unternehmen sollten sich aus gesellschaftlichen Debatten heraushalten und auf ihren eigentlichen Daseinszweck konzentrieren: das Geldverdienen. Die Rolle als Corporate Citizen ist im Ergebnis dann darauf beschränkt, Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen und Steuern zu zahlen.

Inklusiver Kapitalismus

Diese Zeiten sind vorbei. Das Selbstverständnis von Unternehmen hat sich spätestens seit der Jahrtausendwende drastisch verändert. Im Kern geht es um die Entwicklung von einer ausschließlich unternehmerischen zu einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive. In dem alljährlich von der Bertelsmann-Stiftung veröffentlichten „Monitor Unternehmensengagement“ heißt in der Ausgabe des Jahres 2022: „Unternehmen sehen sich selbst zunehmend als gesellschaftsgestaltende Akteure. Indikatoren dafür sind die konstante Zunahme eigener Projekte, die Entwicklung hin zu (…) Projekten im Klima- und Umweltschutz, das Engagement in der Flüchtlingshilfe und eine vermehrt gesellschaftspolitische Positionierung.“[2]

Zu den Verteidigern eines solcherart erweiterten unternehmerischen Selbstverständnisses gehört auch Joe Kaeser. Der ehemalige Siemens-CEO ließ es sich nicht nehmen, das berühmte Friedman-Zitat zu paraphrasieren und so in sein Gegenteil zu verkehren: „The business of business is to serve society.“ Kaeser widerspricht ausdrücklich nicht dem Ziel von „Gewinnen und Margen“, sieht den „tieferen Sinn“ von Unternehmen jedoch erst dann gegeben, „wenn sie Wert schaffen nicht nur für Shareholder und Stakeholder, sondern für eine integrierte Interessengemeinschaft.“[3]

Worte und (!) Taten

Womit wir zu der Frage zurückkehren können, wann sich Unternehmen an gesellschaftlichen Debatten beteiligen sollten. Die Antwort lautet: immer dann, wenn sie im Sinne des von Kaeser beschriebenen „inklusiven Kapitalismus“ wirklich der Gesellschaft dienen – also den Worten auch Taten folgen lassen.  Wenn das gelingt, profitieren alle: die Gesellschaft vom nachhaltigen unternehmerischen Engagement und das Unternehmen durch ein verbessertes Image (vor allem bei den so raren jungen Talenten). Gelingt es nicht, wird der vermeintlich strahlende Corporate Citizen schnell zum König ohne Kleider – eine Witzfigur.

Anders formuliert: Nur weil ein guter Zweck aller Ehren wert ist, gilt das noch lange nicht für die dazugehörige „Corporate Campaign“. Da hat der Sponsor des Weltfrauentags kein weibliches Vorstandsmitglied. Da schmückt die Ukraine-Fahne die Meeting-Räume eines Unternehmens, das auf der Harvard-Liste der Geschäftspartner von Gazprom steht. Da wird die Solidarität mit George Floyd zelebriert, ohne jegliche Verbindung in eine der entsprechenden Communities in den USA. Macht das Sinn? Wohl kaum. Ist es gefährlich? Auf jeden Fall. Schnell endet der vermeintliche Einsatz für die Employer Brand im Shit Storm – häufig angefacht durch jene, die man doch eigentlich gewinnen wollte.

Drei Fragen als Kriterium

Paul Argenti, Professor für Unternehmenskommunikation am Dartmouth College in New Hampshire, nennt drei einfache Fragen[4], deren Beantwortung darüber entscheiden sollte, ob sich Unternehmen in öffentlichen Debatten engagieren:

  1. Passt das Thema zu Mission und Werten des Unternehmens?
  2. Kann man die in der Debatte angesprochene Thematik sinnvoll beeinflussen?
  3. Stimmen die Stakeholder des Unternehmens der Unternehmensposition zu?

Nur wenn alle Fragen mit einem vorbehaltlosen Ja zu beantworten sind, erscheint die Beteiligung an der Debatte wirklich zielführend. Bei einem oder zwei Neins sind Nutzen und Risiko klug abzuwägen. Dass das Thema gerade en vogue ist, kann allein die (vermutlich wenig substantiierte) Wortmeldung nicht rechtfertigen.

Black Lives Matter: Nike überzeugt, H&M nicht ganz so

Der Sportartikelhersteller Nike hat über Jahrzehnte enge Verbindungen zu schwarzen Sportlern und NGOs der schwarzen Community aufgebaut. Der Quarterback Colin Kaepernick, eine „Person of Color“ und bekannt geworden durch seinen Einsatz gegen Rassismus und Polizeigewalt, wurde bereits 2018 das Gesicht einer landesweiten Kampagne des Unternehmens für Bürgerrechte. Dann macht es durchaus Sinn, wenn sich das Unternehmen nach dem Tod von George Floyd für die Black-Lives-Matter-Bewegung einsetzt. Das weitgehend positive Echo aus Politik und Zivilgesellschaft unterstützt diese Annahme. Sich bewusst dem Ärger des amtierenden amerikanischen Präsidenten (Trump) auszusetzen und Umsatzverluste bei MAGA-Anhängern zu riskieren, die öffentlich ihre Nike-Sneaker verbrannten, macht das Engagement umso überzeugender.

Wenn H&M dasselbe tut, macht das höflich formuliert deutlich weniger Sinn. Das schwedische Modeunternehmen war zuvor in diesem Zusammenhang v.a. wegen der vermeintlich rassistischen Auswahl von Kindermodels negativ aufgefallen („Coolest Monkey In The Jungle“). Nach anhaltender Kritik an der öffentlich bekundeten Solidarität mit „Black Lives Matter“ schreibt die Vorstandsvorsitzende Helena Helmersson: „We stand with and support the Black Community (…). We also acknowledge our past mistakes and they have made us acutely aware of how much we still need to learn. As a company, we are growing, but we can and must do better.“[5] So endet die vermeintlich moralische Unterstützung der guten Sache in einem peinlichen Schuldeingeständnis.

Glaubwürdigkeit entscheidet

Empfehlenswert erscheint vor diesem Hintergrund, wenn sich Unternehmen für wenige Themen engagieren, dann aber dauerhaft und sowohl mit Worten als auch Taten. Wer glaubhaft das gesellschaftliche Engagement eines Unternehmens darstellen möchte, kann sich nicht heute für Frauen in Führungspositionen engagieren und morgen gegen die Jagd auf Wale agitieren. Entscheidend für den Erfolg einer Kampagne ist die Glaubwürdigkeit des unternehmerischen Motivs. Und die will im Wettstreit der Unterstützer einer guten Sache hart erarbeitet sein.

Die Ausnahme: das Unternehmen als Stimme im Chor der Corporate Citizens

Sollten Unternehmen also grundsätzlich schweigen, wenn sie selbst keinen Beitrag leisten können? Bei „special Issues“, ja. Gemeint sind all jene Themen, bei denen Unternehmen durch ihr Geschäftsmodell, durch Veränderungen an der Strategie oder auch die Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Gruppen Verbesserungen herbeiführen könnten bzw. diese durch Inaktivität verhindern. Wer mit Produktionsstätten in der Provinz Xinjiang (die Heimat der Uiguren) zusammenarbeitet, sollte am „U.N. World Day for Cultural Diversity“ vielleicht besser mal den Mund halten. Hier würden die Taten den wohlfeilen Worten offensichtlich widersprechen.

Aber wie steht es um Fragen des generellen Zusammenhalts unserer Gesellschaft? Was, wenn es nicht explizit nur um LGBTQIA+, nur um ethnische Minderheiten, nur um Klima, Wohnungsnot, Biodiversität oder Kriminalität gegen Senioren geht? Was, wenn das sogenannte „große Ganze“ auf dem Spiel steht? Kein Bürger allein, weder als Individuum noch als Corporate Citizen, kann maßgeblich dazu beitragen, dass die Bundesrepublik als Demokratie funktioniert oder generelle Regeln des Anstands eingehalten werden.

Dafür braucht es eine substantielle Mehrheit, eine Gemeinschaft. Notwendig ist die Wortmeldung der Vielen, nicht die Maßnahme der Einzelnen. Dann geht es nicht um die individuelle Bürgerin, oder den Bürger. Dann geht es um die Bürgerschaft. Und die Rolle eines Unternehmens kann dann nur sein, als eines unter vielen in einen großen Chor der Corporate Citizens einzustimmen: Lebt Demokratie, geht zur Wahl, gestaltet eure Gesellschaft. Sind das hohle Worte? Es mag so scheinen. Aber hier zählt die Masse (der Corporate Citizens). In seltenen Fällen können sich Worte allein aufgrund ihrer schieren Menge zur Tat verwandeln – gegen Ausgrenzung und Populismus, für Freiheit und Menschenrechte. Auch wenn es nicht mehr als Worte sind: In diesen Fällen sollten Unternehmen ihre Stimme erheben.

 

Quellen:

Hintergrundbild: @mana5280 on Unsplash

[1] A Friedman doctrine - The Social Responsibility of Business Is to Increase Its Profits, New York Times, 13. September 1970).

[2] Joris-Johann Lenssen et al., (ZiviZ im Stifterverband, Hrsg.), Die Zukunft gemeinsam gestalten, Monitor Unternehmensengagement 2022, Berlin 2022

[3] Joe Kaeser, Gewinne sind nicht das einzige Ziel, Harvard Business Manager 10/2019

[4] When Should Your Company Speak Up About a Social Issue?, Harvard Business Review, 16. Oktober 2020

[5] Pressemitteilung der H&M Group, 1. Juni 2020.

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